Geschichte des Widerstandes gegen die «Bioethik»-Konvention des Europarates

 

Einleitung 

Je nachdem, von welcher Seite der Werdegang des Übereinkommens geschildert wird, werden ganz unterschiedliche Fakten hervorgehoben. Die folgende Zusammenfassung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem «Europäischen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin» enthält Daten sowohl von Behördenseite als auch von kritischen Organisationen.

Wir möchten ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass die Vernehmlassungsunterlagen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) nirgends erwähnen, dass die erste Veröffentlichung des ExpertInnenberichts betreffend einer Bioethik-Konvention nur dank engagierten JournalistInnen erfolgte. Der zuständige Ausschuss für Bioethik im Europarat hatte tatsächlich vorgehabt, das Papier geheim zu verhandeln....

Zweitens weisen wir darauf hin, dass die Namensänderung des Völkerrechtsvertrages auch im Zusammenhang mit kritischen Einwänden gegen die Konvention zu sehen ist. So wie der Ausdruck Bioethik ursprünglich wohl zur Beruhigung gedacht war (sowohl «bio» als auch «Ethik» klingen einfach sympathisch), wurde er im Zuge des Widerstands insbesondere von deutschen BürgerInnen-Initiativen immer mehr als ein Synonym für eine menschenrechtsverachtende Ethik im Geiste eines Peter Singer (1) verstanden. Dass das Übereinkommen neu «Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin» heisst, respektive mit vollem Titel «Europäisches Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin» interpretiere ich als einen Face-Lifting-Versuch von seiten der ExpertInnen des Europarates.

Chronologie

1990 empfahlen die europäischen JustizministerInnen an ihrer 17. Konferenz dem Ministerkomitee des Europarates, das ExpertInnenkomitee für Bioethik (Comité «ad hoc» pour la bioéthique, CAHBI) prüfen zu lassen, ob eine europäische Konvention im Bereich Medizin und Biologie ausgearbeitet werden sollte. Das seit 1985 bestehende CAHBI war nicht von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt worden, es hatte also keine demokratische Legitimation.

Im November 1992 wurde das CAHBI umgewandelt in das Comité directeur pour la bioéthique, CDBI,.(Lenkungsausschuss für Bioethik). Das CDBI vereinigt SpezialistInnen aus den Fachbereichen Medizin, Biologie, Recht, Ethik und Theologie, wobei heute über 40 Mitgliedstaaten des Europarates mit zum Teil mehrköpfigen Delegationen vertreten sind. Die schweizerische Delegation, die bei der Ausarbeitung des Übereinkommens mitgewirkt hat, setzte sich zusammen aus Prof. Franz Furger (Theologe) und der stellvertretenden Direktorin des EJPD, Dr. Ruth Reusser (Juristin). Der Lenkungsausschuss hatte weitreichende Kompetenzen, aber immer noch keine demokratische Legitimation.

Im Jahr 1993 zirkulierte innerhalb des CDBI ein Entwurf für ein «Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendungen von Biologie und Medizin», abgekürzt «Bioethikkonvention». Das Dokument wurde als geheim bzw. nicht zur Veröffentlichung bestimmt bezeichnet, was von Octavi Quintana Trias, dem Vorsitzenden des CDBI, später dadurch erklärt wird, dass gewisse Regierungen dies so wollten...(2)

Im Mai 1994 erhielten 4 engagierte JournalistInnen in Deutschland das Geheimpapier und veröffentlichten es zusammen mit einem Katalog kritischer Einwände (3) Die deutschen Medien berichteten z.T. ausführlich, es gab eine inoffizielle Übersetzung der französischen bzw. englischen Originaldokumente und zum erstenmal konnte sich die Öffentlichkeit mit dem Thema beschäftigen.

In der Schweiz wurden die beiden gentechnologiekritischen Organisationen Basler Appell und NOGERETE auf das Thema aufmerksam und versuchten, die schweizerische Öffentlichkeit und auch die Medien zu sensibilisieren. Nationalrätin Ruth Grossenbacher (CVP, Präsidentin insieme) reichte eine Interpellation mit der Frage ein, ob der Bundesrat die Konvention angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe annehmen oder ablehnen würde (4).

Auch in andern europäischen Ländern wurde die Kritik am Konventionstext diskutiert. Die am meisten kritisierten Paragraphen des Konventionsentwurfes waren (und sind es bis heute): Forschungsmöglichkeit an nicht einwilligungsfähigen Menschen, ohne dass die Forschung letzteren zugute kommt (d.h. fremdnützige Forschung); mangelnder Schutz der Embryonen; Erlaubnis von Gentests und deren Weitergabe an Dritte, z.B. Arbeitgeber; kein Patentierungsverbot für menschliche Zellen und Gene; kein eindeutiges Verbot der Keimbahntherapie.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, die zwar keine legislativen Kompetenzen hat, aber konsultativ befragt werden kann, lehnte im Oktober 1994 den Bioethik-Konventionsentwurf des CDBI mehrheitlich ab. Einwände verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen (Grüne, Linke, Feministinnen, Kirchen, Berufsverbände, Selbsthilfeorganisationen, ParlamentarierInnen verschiedenster Parteienzugehörigkeiten) sowie auch die deutlichen Bedenken des Rechtsausschusses des Europarates führten zu diesem Ergebnis. Der Rechtsausschuss stellte fest, dass das vorgeschlagene Vertragswerk die Europäische Menschenrechtskonvention unterlaufe (5). Die «Bioethik-Konvention» wurde dem CDBI zur Überarbeitung zurückgegeben.

In der Schweiz stellten die NOGERETE und der Basler Appell gegen Gentechnologie an einer Pressekonferenz ihr «Manifest zum Schutz der Menschenwürde» vor, begründeten ihre Bedenken betreffend der Bioethik-Konvention des Europarates und starteten eine Unterschriftensammlung. In ihrem Manifest (vgl. Seite ) forderten die beiden Organisationen u.a. ein Verbot der Keimbahntherapie, der Embryonenforschung, der Patentierung von menschlichen Zellen und Genen und vor allem keine Erlaubnis fremdnütziger Forschung an Nichteinwilligungsfähigen. Im Gegensatz zu Deutschland konnte in der Schweiz jedoch nicht erreicht werden, dass sich das Parlament, die Kirchen sowie wichtige Berufsorganisationen und politische Parteien mit dem Thema befassten. Dies könnte u.a. damit zusammenhängen, dass hierzulande die Themen Menschenversuche in der Medizin, Euthanasie und Eugenik leichter auf die Seite geschoben werden können als in Deutschland, oder auch damit, dass die Schweizer Medien weniger aktiv recherchierten als anderswo.

Im Februar 1995 legte das CDBI der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eine leicht veränderte Fassung der Konvention vor, in der der Kritik scheinbar etwas Rechnung getragen wurde. So war zum Beispiel die Formulierung zur Embryonenforschung sehr allgemein gefasst worden und die Vorschläge des CDBI wurden für ein Zusatzprotokoll der Konvention aufgehoben. Die PV vertraute dem CDBI, obwohl letzteres keinen definitiven Text vorlegte, sondern bloss Absichtserklärungen für eine Änderung bestehender Texte. Nach der Zustimmung der Parlamentarischen Versammlung ging das Papier zur endgültigen redaktionellen Überarbeitung zurück ins CDBI.

Der Bundesrat führte 1994 eine «informelle Vernehmlassung» durch, was unüblich ist. Adressaten waren die Kantonsregierungen, Medizin und Wissenschaft sowie Arbeitgeber- und Patientenorganisationen. Nationalrätin Margrith von Felten (vormals SP, Vorstand NOGERETE), fragte die Schweizer Regierung in einer Interpellation vom 2.2.1995 u.a. an, ob sie eine breite Vernehmlassung zur Bioethikkonvention zu veranlassen bereit sei (6). Der Bundesrat teilte in seiner Antwort mit, dass eine Vernehmlassung vor der definitiven Beschlussfassung des Ministerkomitees nicht möglich sei, sondern nur vor der Ratifizierung oder allenfalls vor der Unterzeichnung der Konvention.

Der Bundesrat hat die Kompetenz, internationale Konventionen zu unterzeichnen. Erst mit der Ratifizierung durch das Bundesparlament werden sie verbindlich. Zwischen Unterzeichnung und Ratifizierung können mehrere Jahre liegen. In der Regel findet vor der Ratifizierung eine breite Vernehmlassung statt. Dass die Vernehmlassung für die Bioethikkonvention nun bereits vor der Unterzeichnung stattfindet, ist wohl u.a. auf verschiedene kritische Interventionen zurückzuführen.

Im September 1995 organisierten die Schweizerische Gesellschaft für ein Soziales Gesundheitswesen, der Basler Appell gegen Gentechnologie und die NOGERETE in Basel ein Symposium mit dem Titel: «Medizin und Ethik - wo bleibt die Menschenwürde?».(7) Auch in andern europäischen Ländern ging die Öffentlichkeitsarbeit weiter, wiederum war die Debatte in Deutschland am ausführlichsten und kritischsten:

Ende Oktober 1996 fand in Nürnberg der Kongress «Medizin und Gewissen» statt, der an den Missbrauch der Medizin im Dritten Reich erinnerte und den Nürnberger Kodex von 1947 ins Bewusstsein zurückrief

Das CDBI legte seine endgültige Fassung des Konventionstextes im Juni 1996 dem Ministerkomitee des Europarates vor.

Am 14. Juni 1996 überreichten Basler Appell und NOGERETE Bundesrätin Dreifuss 6000 Unterschriften gegen die Bioethik-Konvention und für das Manifest zum Schutz der Menschenwürde (8).

Im September 1996 stimmte die Parlamentarische Versammlung des Europarates in einer Konsultativabstimmung der neu sogenannten «Biomedizinkonvention» zu. Dabei hatte die deutsche Delegation ausdrücklich eine Streichung des Paragraphen, der fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen umschreibt, verlangt. Demgegenüber beschwor der Berichterstatter der vorberatenden Kommissionen im Europarat, der Basler Ständerat G. R. Plattner, die Verbesserungen des Textes, vor allem betreffend Weitergabe der Gentests an Dritte, und es drohe die «Anarchie» im Medizinbereich, falls die Konvention nicht angenommen werde...(9)

Die schweizerischen Europaratsdelegierten hatten sich (leider!) zuwenig mit dem Thema befasst, Delegierte aus vielen andern Ländern offenbar auch, jedenfalls liessen sie sich vom Referat Plattners beeindrucken und stimmten dem Vertragswerk in der Hoffnung zu, dieses Papier sei besser als nichts.....

Sämtliche Oppositionsgruppen in Deutschland und der Schweiz bedauerten den Entscheid der PV des Europarates und forderten ihre Regierungen dazu auf, die Konvention nicht zu unterzeichnen.

Am 19. November 1996 verabschiedete das Ministerkomitee des Europarates das Übereinkommen Mit 35: 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen (Belgien, Deutschland, Polen).

Am 4. April 1997 legte der Europarat das neue Übereinkommen in Oviedo, Spanien, zur Unterschrift auf.
Bis heute haben es 23 Staaten unterzeichnet, nämlich Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Moldawien, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, San Marino, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, die Tschechische Republik, die Türkei und die Republik Mazedonien. Anfang 1998 hinterlegten die Slowakei und San Marino die Ratifikationsurkunde beim Europarat.

Bis im Juni 1998 gelang es der Opposition in Deutschland in einem «Bündnis für Menschenwürde» 1,5 Mio Unterschriften gegen die Bioethik-Konvention zu sammeln. Unter den KritikerInnen der Konvention finden sich u.a. ein 60köpfiges, überparteiliches Komitee von Bundestagsabgeordneten (darunter Rita Süssmuth, CDU), der deutsche Richterbund, Behindertenorganisationen, Selbsthilfevereinigungen, Berufsverbände aus Psychologie und Medizin, Kirchengruppen, der deutsche Frauenrat sowie zahlreiche Einzelpersönlichkeiten.

Im September 1998 begann in der Schweiz eine breite Vernehmlassung zum «Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin» sowie zum «Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen». Das EJPD lud insbesondere die Kantone ein, ihre Meinung zu äussern, ist die Gesetzgebung im Gesundheitsbereich doch Sache der Kantone.

Noch vor Auswertung der Vernehmlassung hat auch der Bundesrat die «Bioethik»-Konvention "nur" unterzeichnet. Über eine Ratifikation wird die Bundesversammlung zu beraten haben. Dies dürfte im Jahr 2000 traktandiert sein.

Das Komitee zum Schutz der Menschenwürde tritt dafür ein, die Konvention keinesfalls zu ratifizieren.
Da das Thema bisher viel zu wenig demokratisch diskutiert wurde, hat die Konvention die niedrige Hürde von 5 ratifizierenden Staaten für das Inkrafttreten schon erreicht: San Marino, die Slowakei, Slowenien, Griechenland und zuletzt Dänemark haben die Konvention inzwischen ratifiziert, so dass sie seit dem 1. Dezember 1999 in Kraft ist!

Anmerkungen:

1. Peter SINGER, Philosophieprofessor in Melbourne, Australien, ist Mitbegründer der neuen Disziplin «Bioethics». Er wurde mit seinen Büchern «Praktische Ethik» und «Muss dieses Kind am Leben bleiben?» bekannt. Singer vertritt die Ansicht, dass es unter bestimmten Umständen ethisch richtig sei, schwerstbehinderte Neugeborene zu töten. Er führte auch die Unterscheidung zwischen menschlichen Lebewesen und Personen ein. Nur Personen verfügen nach Singer über die Eigenschaften Selbstbewusstsein und Rationalität, welche ein absolutes Tötungsverbot rechtfertigten. Singers Philosophie ist sehr umstritten, vor allem in Deutschland.

2. Interview von Ludger Wess mit O. Quintana-Trias, Leiter des Lenkungsausschusses für Bioethik (CDBI) des Europarates, in: Die Woche, Nr. 20. 11.5. 1994

3. «Das Ethos der Wissenschaft: Wo steht die Bioethik in Europa?», verfasst von Erika Feyerabend, Ursel Fuchs, Wilma Kobusch und Jobst Paul. Grundlagenpapier der Internationalen Initiative gegen die geplante Bioethikkonvention und das Europäische Bioethische Netzwerk. Liegt auf deutsch, französisch, spanisch, russisch und englisch vor.

4. Nationalrat, Nr. 94.3522, Interpellation Grossenbacher vom 8.12. 1994: Entwurf einer Bioethikkonvention des Europarates

5. Der Berichterstatter des Rechtsausschusses im Europarat, SCHWIMMER (Österreich) sagte u.a. in seiner Rede vom 5.10. 1994: «Menschenrechte werden auch keineswegs ausreichend geschützt, sondern werden im Gegenteil vielleicht sogar preisgegeben, wenn nichttherapeutische Eingriffe, also Eingriffe, die nicht der Person dienen, an der sie gemacht werden, zu Forschungszwecken an selbst nicht handlungsfähigen Personen dann erlaubt werden sollen, wenn eine gleichermassen effektive Forschung an geschäftsfähigen Personen nicht durchgeführt werden kann, mit einem Wort, wenn sich handlungsfähige Personen mit Recht gegen einen solchen Eingriff wehren würden. Das ist mit den Menschenrechten meiner Ansicht nach nicht vereinbar, das wäre eine Sinnverdrehung aller rechtsstaatlichen Regelungen über den Schutz nichthandlungsfähiger Personen, wenn durch solche Regelungen ihr Schutz nicht verstärkt, sondern vermindert würde.»

6. Nationalrat, Nr. 95.3043: Interpellation von Felten vom 2.2. 1995: Haltung der Schweizer Behörden zur Bioethikkonvention des Europarates

7. Das Symposium ist dokumentiert in der Zeitschrift «Soziale Medizin», Nr.1/1996, erhältlich bei der sm, Postfach, 4007 Basel.

8. In ihrer Antwort auf die Übergabe des Manifests versprach Bundesrätin Ruth Dreifuss, dass sie die Bedenken von BA und NOGERETE ernst nehmen werde.

 9. Plattner wird dagegen im Vernehmlassungsbericht des EJPD auf Seite 3gelobt: «Die Parlamentarische Versammlung (....) unterstützte, - nicht zuletzt dank den sachkundigen und engagierten Darlegungen des Berichterstatters der vorberatenden Kommissionen, Ständerat Prof. Gian-Reto Plattner (Basel) - den überarbeiteten Entwurf mit grosser Mehrheit.»

NOGERETE, Januar 2000

 

zurück zu Bioethik-Konvention